Yoga für alle

In Fitnessstudios und Volkshochschulen wird Yoga als Gesundheitssport für Körper und Geist betrieben. Yoga sorgt für Entspannung und erzeugt keinen Leistungsdruck. Wichtiger als Akrobatik ist ein richtiger Lehrer.

Wer Yoga Sport nennt, bekommt ein Problem. Echte Yogi nämlich rümpfen die Nase; Yoga, sagen sie, sei mehr als Sport, zu dem es sich verhalte wie ein Diamant zu einer Glaskugel. Yoga sei eine Lebenseinstellung, ein philosophisches System, das nicht bloß körperliche Fitness zum Ziel habe, sondern eine umfassende Lehre für Geist, Körper und Seele sei. Es führe zu innerem Frieden, Glück und Harmonie. Die acht Stufen des Astanga Yoga zum Beispiel strebten die vollkommene Weisheit an, das Überbewusstsein, die Erleuchtung. Das sei Samadhi, die achte Stufe. Auf den anderen Stufen stünden Selbstdisziplin (Yama), positives Handeln (Niyama), Körperstellungen (Asana), Atmung (Pranayama), Selbstbeherrschung (Pratyahara), Aufmerksamkeit (Dharana) und Meditation (Dhyana). Yogisch Bewegte verstehen diese acht Stufen als Einheit, als Lebenssinn.

In deutschen Fitnessstudios, Volkshochschulkursen und Yogaschulen wird anderes betrieben. Der Yoga-Boom in Deutschland hat in vielen Studios Angeboten wie Aerobic, Bauch-Beine-Po, Pilates oder Spinning den Rang abgelaufen. Es gibt Senioren-Yoga, Kinder-Yoga, Schwangeren-Yoga, Hormon-Yoga, Partner-Yoga, Power-Yoga – es gibt Yoga für alle, Yoga als Breitensport, der vor allem Frauen anspricht: Rund 80 Prozent der Teilnehmer sind weiblich. Wer heute keine Yogamatte besitzt, ist ein armer Fitness-Wicht.

Körperstellungen, Atemtechniken und Entspannung

Dass der Trend in den Fitnessstudios seit Jahren weg von Hardcore-Geräten und -Kursen hin zu sogenannten Soft-Angeboten wie Yoga geht, wird von den Krankenkassen verstärkt, die im Rahmen ihrer wachsenden Anstrengungen im Präventivbereich Kurse bezuschussen. Auch Yogaschulen, die es mittlerweile im Dutzend in jeder größeren Stadt gibt, und Volkshochschulkurse profitieren vom Zuschussbetrieb der Krankenkassen.

Ist das nun Yoga, was die Deutschen in Form und Bewegung bringt? Darf man die vielfältigen Angebote Yoga nennen, auch wenn sie ohne philosophischen Tiefgang sind? Warum nicht? Sie sind eine ideologisch abgespeckte Form, die sich bei den meisten Kursen auf drei der acht Astanga-Stufen beschränkt, auf Körperstellungen, Atemtechniken und meditative Elemente zur Entspannung.

Dies alles in eine Stunde, manchmal in neunzig Minuten und in verschiedene Schwierigkeitsstufen verpackt, bringt dem Fitnesssuchenden eine Reihe von Vorteilen: So sind die Asanas nicht nur ausgezeichnete Kraft- und Dehnübungen, sondern stellen auch konditionelle Anforderungen und schulen den Willen. Sie sind, korrekt ausgeführt, gelenkschonend und im Prinzip für jedermann zu betreiben. Verantwortungsvolle Yogalehrer – man sollte sich vor Selbstdarstellern hüten – können die Übungen so variieren, dass buchstäblich jeder mit sinnvollem Training beginnen kann. Akrobatik ist nicht vonnöten, Kopfstand und artistische Verbiegungen bleiben den Könnern vorbehalten. Muskelkater ist am Anfang garantiert, Fortschritte sind bald spürbar.

Der Zauber uralter indischer Weisheit

Die Asanas, richtig vermittelt, sind ein Bewegungssystem, das als Gesundheitssport nahezu ideal ist, ein variables gymnastisches Programm, das bis ins hohe Alter zu betreiben ist. Im Prinzip kann das auch jede gute Funktionsgymnastik leisten; dass ausgerechnet Yoga zu einem Fitnesstrend nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten industrialisierten westlichen Welt geworden ist, hat letzten Endes mit dem geheimnisvollen Zauber uralter indischer Weisheit zu tun, der Yoga umweht, und mit dem Versprechen, nicht nur körperliche, sondern auch geistige Kräfte zu wecken.

In einer chronisch gestressten Welt ist der Sport zunehmend nicht nur für Fitness und Körpergefühl zuständig, sondern auch für Entspannung und seelischen Ausgleich – und da ist Yoga ein willkommenes Mittel oder zumindest eine willkommene Hoffnung, sich nicht nur körperlich ertüchtigen zu können, sondern dabei auch innere Balance und geistige Stärke zu finden. Yoga, sagt B. K. S. Iyengar, der eine der erfolgreichsten modernen Yoga-Lehren entwickelt hat, erschöpfe nicht Energie, wie dies Sport gewöhnlich tue, sondern erzeuge sie. Das Gefühl, trotz erheblicher körperlicher Anstrengung aus einer Übungsstunde gestärkt und nicht geschwächt herauszugehen, mag einen Teil des Reizes ausmachen, der Yoga-Stunden mit Teilnehmern füllt.

Ob der Yoga-Boom eine Modeerscheinung ist (wie er es in den siebziger Jahren mit einer starken spirituellen Ausrichtung schon einmal war) oder ob sich das – nennen wir es: Studio-Yoga – dauerhaft als hoch effizienter Gesundheitssport etablieren kann, wird sich zeigen. Vieles spricht für einen dauerhaften Erfolg: Studio-Yoga spricht jeden an, jedes Geschlecht, jedes Alter, es verlangt keine Vorkenntnisse, kein Gegeneinander, es trainiert Kraft, Beweglichkeit, Willen und Ausdauer, sorgt für Entspannung und erzeugt, auch das ein wichtiger Aspekt, keinen Leistungsdruck. Viel mehr kann man von einem sinnvollen Gesundheitssport eigentlich nicht verlangen.